Montag, 18. November 2013

Malins Arbeit und Alltag


Aller liebste Familie, Freunde und Förderer!

Schon sind 2 Monate in Israel rum und es wird Zeit für meinen ersten richtigen Rundbrief aus dem nahen Osten.  Bisher fühlte sich das Ganze hier noch ein bisschen wie ein langer Urlaub an. – Tolles Wetter, Sonne, Strand, Reisen … Erst langsam realisiere ich, dass sich hier ein ganzes Leben aufbaut. – Freunde, Arbeit, Alltag und auch Schwierigkeiten. Ich habe mich wunderbar hier in Kfar Tikva eingefunden und genieße jeden Tag aufs Neue!
Jetzt, wo ich selber ein  wenig Ahnung habe wie hier in Israel alles abläuft und wie im Projekt alles funktioniert, möchte ich auch euch daran Teil haben lassen. Ich wohne in einem kleinen Ort, Kiryat Tivon, nicht weit von Haifa und arbeite in „Kfar Tikva“ = „Dorf der Hoffnung“- ein Platz, wo 200 Menschen mit Behinderung ( wir nennen sie Member) wohnen, arbeiten und leben. Eine kleine Ausnahme gibt es, und zwar wohnen ca. 50 sehr selbstständige  Member außerhalb des Projektes. Manche von ihnen arbeiten sogar in der Ortsbäckerei oder einer Wäscherei und nutzen nur die restliche Betreuung des Projektes. Alles sind Erwachsende. Außerdem gibt es 12 deutsche Volontäre, 5 israelische Volontäre und viele andere Mitarbeiter. Es ist eine wunderbare Lage, nicht weit vom Ort, mit toller Aussicht und Blick ins Tal.





Angelegt wie ein Dorf, wohnen die Member in eigenen Häusern. Manche alleine, zu zweit oder in einer Wohngemeinschaft. Mahlzeiten werden in der „Chadar Ochel“ eingenommen, dem gemeinsamen Speisesaal. Die Member arbeiten in unterschiedlichen Gruppen. Im unteren Bereich des Dorfes befinden sich Werkstätten, wie z.B. die Kerzenfabrik, Filz, Holz,  Keramik, Kita Or und Kita Oren (kreative Workshops, in denen alte und stark eingeschränkte Member arbeiten). Außerdem gibt es ein Gartenteam und  die „Pinat Chai“, einen kleinen Bauernhof mit unterschiedlichsten Tieren, wie Pferd, Esel, Nasenbär, Ziegen und Schafe, Kaninchen und Hamster, Frettchen, Tauben und Wellensittiche, Hühner …  Ich selber arbeite mit einer weiteren deutschen Volontärin und der Workshop-Leiterin in der Filz-Werkstatt.
Hier gefällt es mir besonders gut, da ich viele kreative Ideen und Vorschläge mit einbringen und umsetzen kann. So fangen wir dieses Jahr z.B. an Filzblumen und Taschen zu machen. Das habe ich bereits in Deutschland mal gemacht und bringe es jetzt den Membern bei. Das ist hier allerdings nicht so einfach, da körperliche Behinderungen oder ein Sturkopf dem Verständnis im Weg stehen können. So weiß z.B. Ella* ganz genau, wann sie Wasser und wann sie Seife dazu geben muss, damit eine schöne Tasche bei rauskommt. Trotzdem ruft sie alle paar Minuten nach mir und möchte, dass ich doch mal ihre Arbeit überprüfe und sie kräftig lobe. Danach arbeitet sie engagiert weiter. Eine andere Memberin hingegen möchte am Morgen alles anfangen zu filzen, was sie grade nicht in die Hände bekommen soll, weil sie ein Händchen dafür hat, Dinge zu zerschneiden oder auseinander zu rupfen. Sobald man ihr dann doch eine Arbeit anvertraut oder sie darum bittet etwas zu tun sträubt sie sich und trotzt: „Lo, ani lo rotza“, was so viel heißt wie „Nein, ich will nicht“. Dagegen kann man dann auch nur schwer etwas tun. Die meisten anderen jedoch sind sehr fleißig, arbeitswillig und motiviert, was in anderen Werkstätten aufgrund des Behinderungsgrades nicht immer möglich ist.
Generell im Kfar und ebenso bei uns in der Werkstatt geht es weniger um das Produktive, als um die sinnvolle Beschäftigung der Member. Auch wenn man mal hier und da zu verzweifeln droht, da einem alle auf dem Kopf rum tanzen und an alles denken, nur nicht daran auf Anweisungen zu hören, so kann man am Ende des Tages doch immer auf ein paar fertige Filzblumen blicken und denkt sich: „irgendwie klappt’s ja doch!“.
In meinem Workshop haben wir 15 Member, die zwischen 21 und 60 Jahre alt sind. Die Art von Behinderung und der Behinderungsgrad sind dabei sehr unterschiedlich. Sowohl physische als auch psychische Einschränkungen, autistische Menschen, welche die unter schweren Depressionen leiden, Behinderungen, die von Geburt an sind und andere, die durch ein traumatisches Ereignis verursacht wurden. Trotz der bunten Mischung, oder vielleicht sogar grade wegen der bunten Mischung kommen alle gut miteinander klar und  sorgen für einander. Wenn ich morgens in den Workshop komme werde ich fröhlich Empfangen mit: „Boker tov, Malin!“ oder „Ma nisch ma?“ (Guten Morgen Malin! Wie geht’s dir?). Einige umarmen mich stürmisch zur Begrüßung, andere schenken mir ihr schönstes Lächeln. Jeden Morgen freue ich mich schon drauf und fühle mich nicht nur willkommen, sondern auch erwünscht. 

mein Filzworkshop, mit den insgesamt 15 Membern





Insgesamt muss man sagen, dass alle Member hier sehr selbstständig sind und nur mehr oder weniger Unterstützung benötigen. Hier zeigt sich auch das Motto des Projekts: „Hilf mir, es selbst zu tun.“ Genau das spiegelt sich auch in unseren Aufgabenfeldern wieder.
Morgens müssen einige Member geweckt werden, andere benötigen leichte Hilfe beim Duschen, dies ist jedoch noch weit von „Pflege“ entfernt. Danach arbeiten wir von 8h-12h in unserem festen Workshop. Mittags hat man ab und zu Essensausgabe. Nach einer kleinen Mittagspause beginnt das Nachmittagsprogramm, welches sehr vielseitig und individuell ist. Von den israelischen und deutschen Freiwilligen werden unterschiedliche Aktivitäten und AGs angeboten.
So z.B. das Sportprogramm von Fußball über Basketball und Fahrradfahren bis hin zu Spazieren oder Tanzen. Einmal die Woche gibt es eine Falaffelfahrt und eine Pita-AG. Es gibt ein Café, einen Karaoke-Abend, Kino-Abend, Tanzen, Disko … eigene Ideen können gerne verwirklicht werden.
Unabhängig von dem Angebot der Freiwilligen gibt es Unterricht für die jüngeren Member, Hebräisch Unterricht für nicht Muttersprachler, Musikunterricht, einen Chor, Malen, eine Diät-Gruppe, einen Raum zum Musik hören und einen zum Spielen. Außerdem gibt es ganz neu einen Snoozelraum und Sportgeräte im Außenbereich. Erst nach und nach habe ich das vielseitige Angebot entdeckt und bin wirklich fasziniert wie viel Organisation dahinter steckt und wie viele Möglichkeiten die Member haben.
Zweimal die Woche hat jeder zwei fest zugeteilte Member, mit denen er eine Einzelbetreuung macht. Ich z.B. betreue Miriam* und Gil*. Diese zwei Member sind komplett verschieden und haben sehr unterschiedliche Ansprüche. Sich jedes Mal neu anzupassen und auf sie einzulassen ist eine große Herausforderung. Zuerst einmal zu Miriam: sie ist total aufgeweckt, fröhlich, motiviert, aktiv, lustig, humorvoll und sie lacht sehr gerne - alles sehr positive Eigenschaften! Der einzige Haken ist, dass Miriam super schnell abgelenkt ist und nicht ruhig sitzen kann. Wenn ich also auf einer Bank sitze und mich super nett mit ihr unterhalte, dann kann es gut sein dass sie im nächsten Moment aufspringt und zu irgendwem anders hinläuft. Mir bleibt dann nichts anderes übrig, als ihr hinterher zu laufen. Ihre Stimmung ist dann schlagartig sehr verändert und sie ruft: „ Schekket, dai, stop annoying me. Please leave me alone.“ Die erste Reaktion ist, sie in Ruhe zu lassen. Wenn man sie aber ein bisschen kennt, weiß man, dass man nur 5 Minuten warten muss und sie ist freundlich wie eh und je und hat vergessen, dass sie mal sauer auf einen war. Die Arbeit mit ihr ist oft anstrengend und mühsam, aber Miriam ist eine sehr liebenswürdige Person, die mir trotzdem das Gefühl gibt, gerne mit mir Zeit zu verbringen. Schon Tage vorher informiert sie sich, was wir denn geplant haben – auch wenn sie selber am Tag auf alles Lust hat, nur nicht auf das Geplante. Unser größter bisheriger Erfolg war das gemeinsame Pancake backen! :)  Wir 2 können uns zum Glück gut verständigen, denn Miriam kommt ursprünglich aus Australien und spricht außer Hebräisch auch noch fließend Englisch.
Meine Einzelbetreuung und eine israelische Mitfreiwillige mit zwei Membern
Bei Gil ist das anders. Mit ihm ist die Sprachbarriere eine große Herausforderung. Er spricht Persisch und Hebräisch – beides beherrsche ich leider nicht so fließend. Er ist jedoch verlässlich, sehr fröhlich und um einiges ruhiger als Miriam. Wir albern viel rum und unsere Treffen sind meistens von Dialogen wie: „Lama lo“ – „Lama ken“ – „Lama lo“ – „Lama ken“ (warum nicht – warum doch) usw. … dominiert. Dies kann man zu jedem x-beliebigen Thema machen. Weil ich meistens nicht ganz verstehe worum es geht beschimpft er mich mit einem belustigten Lächeln mit „At balaganiste“ (Du chaotin). Mit Gil war ich auch schon mal im Ort Kiryat Tivon in einem Café. Die Member in unseren Einzeljobs lernen wir mit der Zeit am besten kennen und dienen für diese auch als Bezugsperson.
Ansonsten gibt es noch ein paar unregelmäßigen Jobs, wie z.B. das Begleiten von einzelnen Membern zum Arztbesuch oder der gemeinsame Ausflug mit ein paar Membern zum Basketballspiel in Haifa. Letzteres ist ein großes Event und alle Member sind sehr aufgeregt und froh.

Chanukka-Fest mit Tanz in der Chadar Ochel:




Ein paar Häuser, in denen die Member im Kfar wohnen:






Genug zur Arbeit, kommen wir zur Freizeit. Wir Volontäre wohnen nicht im Kfar, sondern im Ort Kiryat Tivon, welcher zu Fuß 15min, mit dem Auto 5 min entfernt ist. Hier sind wir 12 in 3 bescheidenen WGs untergebracht. Es gibt jeweils zwei Doppelzimmer, Küche, Bad und Wohnzimmer. 2 Mädchen WGs, eine Jungs WG.  Untereinander können wir uns und den Supermarkt in 2 min erreichen.
Im Kfar steht extra für die Volontäre ein Karavan in der Nähe des Speisesaals, in welchem wir unsere Pausen verbringen und welcher auch als Rückzugsort während der Arbeit dient. Dank zwei Betten, einer kleinen Kücheneinrichtung, Dusche, Klo und einem kleinen Feuer- und Sitzplatz davor lässt es sich hier gut die Zeit vertreiben und auch den einen oder anderen BBQ gemeinsam genießen.


DerVolontärs-Karavan ....


 ... und die wunderbare Aussicht.



2x die Woche findet für uns Freiwillige ein Hebräisch-Sprachkurs statt. Leider hat er erst vor kurzem angefangen, dafür ist er aber super und sehr hilfreich. Hier möchte ich kurz erwähnen, dass auch meine Hebräisch Kenntnisse zunehmen und ich außer den einfachen Redewendungen und Begrüßungs-Floskeln anfange die hebräischen Schriftzeichen lesen zu können.
Sechs Mitfreiwillige bilden eine „Music Group“, mit der wir an Chanukka unseren Ersten Auftritt haben und den Member-Chor unterstützen. Außerdem nehme ich am Kunstunterricht teil, den einer der Workshop-Leiter uns in seiner Freizeit anbietet. Einmal die Woche treffen wir uns abends für 2-3 Stunden und er gibt uns Tipps zum Malen und Zeichnen.
Um meinen persönlichen Eindruck von Kfar Tikva zu beschreiben, möchte ich eine Einheimische zitieren, die uns im Auto vom Kfar bis nach Hause mitgenommen hat: „ You work in Kfar Tikva? Oh, that´s a unique place with special people.“ Wirklich! Der Name “Dorf der Hoffnung” passt schon ganz gut. Die meisten Member, die einmal hier wohnen, möchten auch gar nicht mehr woanders hin ziehen, auch wenn ihr Gesundheitszustand es ermöglichen würde. So werden sie gemeinsam alt, und in Kfar Tikva werden neue Häuser gebaut, um noch mehr Menschen mit Behinderung die Möglichkeit zu geben, an dieser einzigartigen Gesellschaft teilhaben zu können.
Wer von euch noch Lust hat mehr zu lesen und über meine vielen Wochenendtrips zu erfahren kann gerne mal auf meinen Blog gucken: malin-goes-israel.blogspot.de
Ich danke euch allen, dass ihr mich unterstützt und mir diese wundervolle Erfahrung möglich macht!
  
Shalom shalom, eure Malin

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen